
Liebe Leserin, lieber Leser
Kennen Sie das Gefühl, nach einem lange herbeigesehnten Roadtrip gerne wieder Zuhause anzukommen? Dieses Gefühl, so herrlich leicht den Alltag zu meistern? Ohne organisatorische Grenzerfahrungen wie die Suche nach Münzen im bargeldlosen Portemonnaie, nachdem die Waschmaschine auf dem Campingplatz bereits befüllt ist oder der sofortige Toiletten-Halt für das mittlere Kind mitten auf der dreispurigen A6 kurz vor Lyon auf dem Weg an die französische Riviera?
Mit diesem Gefühl von Leichtigkeit bin ich jetzt wieder retour im Alltag. Vier Wochen dauerte mein Roadtrip. Nur navigierte ich weder ins Tessin noch auf die Balearen. Sondern reiste quer durch unsere Konsumlandschaft. Im Gepäck der Versuch, mich (und meine Familie) möglichst nachhaltig zu ernähren, den ökologischen Fussabdruck so leichtfüssig wie nur möglich (am liebsten gar nicht) zu hinterlassen.
Ausgangspunkt meiner Reise waren zwei Weiterbildungstage auf dem Weg zum Zertifikat, das mir bescheinigt, eine nachhaltige Führungskraft in unserer Wirtschaftswelt zu sein. Mit dieser Weiterbildung verbunden war die Aufgabe, mich mit meinem persönlichen ökologischen Fussabdruck zu beschäftigen. Die vorherrschende Meinung in meinem Kopf, praktisch keinen Fussabdruck zu hinterlassen - da bereits sehr konsumbewusst unterwegs - habe ich spätestens mit dem Resultat des online Fussabdruck-Rechners (footprintcalculator.org) revidiert. Dieser spukte mir nämlich ein Ergebnis aus, wonach mein persönlicher Erdüberlastungstag am 6. Juli stattfand. Mit anderen Worten: Wenn alle Menschen auf dieser Welt meinen Lebensstil und mein Konsumverhalten übernehmen würden, würde weltweit niemand mehr Silvester feiern. Da wir spätestens am 6. Juli sämtliche Ressourcen dieser Erde aufgebraucht hätten. Aus die Maus noch vor der Publikation der erfolgreich erwirtschafteten Halbjahreszahlen!
Diese Erkenntnis war schockierend. Stimmt das wirklich? Ich gebe ein Vermögen für Bio-Produkte aus und kaufe nur wenig Kleidung, die ich dann bis zum Verlumpen austrage. Unser Haus haben wir vor zwei Jahren mit maximaler Investition energetisch saniert. Seit mehreren Jahren habe ich keinen Ferien-Flieger mehr von innen gesehen (aus Überzeugung). Mein privates Leben spielt sich auf einem gefühlten Radius von 15 Kilometern ab (von den Zuger Talgemeinden bis ins Aegerital und retour), beruflich führte mich mein Weg in den vergangenen 15 Jahren maximal bis nach Genf.
Immerhin dann die erlösende Nachricht des CO2 Rechners von WWF (wwf.ch/de/nachhaltig-leben/footprintrechner): Ich verursache «nur» etwas mehr als die Hälfte des CO2-Ausstosses der für Herr und Frau Schweizer ganz selbstverständlich ist (7.91 Tonnen im Vergleich zu 13.51 Tonnen im Schweizer Durchschnitt). Zu denken gab mir dies trotzdem und es beschäftigt mich noch immer. Denn ich verursache offensichtlich mit meinem Konsum und meinem Verhalten doch eine halbe Tonne mehr CO2 als der weltweite Durschnitt (7.41 Tonnen CO2Ausstoss pro Mensch weltweit). Das «Bravo» des WWF online Rechners, das mich dank des deutlich besseren CO2 Resultates im Schweizer Vergleich vermutlich für weitere nachhaltige Taten motivieren sollte, zog mich eher runter.
Ein ungestümes Unbehagen machte sich in meiner Bauchgegend breit. Ich vermutete: Wir werden es nicht schaffen. Diese Welt geht den Bach runter. Wer will und kann sich denn diesen «Hosenlupf» antun, den nur schon ich alleine für die Nachhaltigkeit stemme (notabene freiwillig)? Und es langt ja trotzdem nicht, wie meine online berechneten Resultate zeigten. An dieser Stelle hätte ich einbrechen und zusammenpacken können. Bin ich aber nicht. Ganz im Gegenteil, denn ich habe drei Kinder auf diese Welt gestellt und für sie und alle anderen Kinder dieser Erde muss es doch eine Zukunft geben. Oder etwa nicht? Also habe ich getan, was ich in solchen Situationen gerne tue. Ärmel hochkrempeln, rein in den Sumpf und pickeln was das Zeug hält.
Wie konnte es sein, dass bei mir gemäss Fussabdruck-Rechner die Kategorie «Mobilität» als zweitgrösster Verbraucher dermassen schwer auf meinem ökologischen Fussabdruck lastet? Dies obschon ich für längere Fahrten seit bald einer Dekade den Zug bevorzuge? Ich lernte: Die 5'000 gefahrenen Autokilometer pro Jahr liegen aufgrund des Benzin-Autos bleischwer in meiner Ökobilanz. Irrtümlicherweise hatte ich bislang unseren treuen, leistungsschwachen Südkoreaner auch noch leidenschaftlich verteidigt in der Meinung, einen fahrbaren Untersatz vorzeitig auf die Müllhalde zu werfen, sei auch nicht nachhaltig. Der online Rechner belehrte mich eines Besseren. Will ich meine ökologischen Mobilitätsspuren in die Abwärtsspirale bringen, habe ich offenbar keine andere Wahl, als umzustellen auf Elektromobilität. Denn ganz aufs Auto zu verzichten, erscheint mir in meiner Lebenssituation dann doch etwas unrealistisch. Sieht also ganz danach aus, als ob es in Bälde zum Bruch mit unserer soliden Familienkutsche aus Fernost kommt.
Die grössten Spuren hinterlasse ich aber mit Abstand mit meinen Lebensmitteln. Diese Tatsache war mir nicht neu, esse ich doch nach wie vor Fleisch, Fisch und Eier und verzichte als ländlich geprägter Abkömmling von zwei Bauernfamilien (jeweils zwei Generationen retour) nur ungern auf Milchprodukte. Dafür kann man mich an den Pranger stellen, einverstanden. Zu meiner Verteidigung halte ich gerne fest, dass bereits vor meinem Nachhaltigkeits-Roadtrip ein grosser Teil unseres familiären Milchkonsums auf direkt ab Hof gekaufter Rohmilch (ohne Verpackung) zurückzuführen war und unser etwa viermalige Fleischkonsum pro Woche auch zuvor gänzlich aus Schweizer Fleisch möglichst in Bio- oder mindestens IP-Qualität bestand. Auch ich realisierte aber, meine Argumente sind in etwa so hieb- und stichfest wie volksnahe Abstimmungsparolen.
Denn beide Nahrungsmittel (Milch und Fleisch) stehen für die ineffizienteste Nutzung der weltweiten Bodenflächen, die uns zur globalen Nahrungsmittelproduktion für die 8.2 Mrd. Menschen zur Verfügung stehen. Diese Tatsache verursachte auch bei mir ein leeres Schlucken. Ich bin ja kein Unmensch. Es musste also etwas passieren, sofort!
Ich entschied im Alleingang, Montag bis Freitag gibt’s in unserem Haushalt ausschliesslich vegetarische Küche. Mit Grosserfolg, denn unsere Kinder bevorzugten schon vorher die einfache Küche und essen jetzt tatsächlich die vom Bund empfohlenen fünf Portionen Gemüse und Früchte. Als berufstätige Mutter profitiere ich seither von einer nicht zu verachtenden Zeitersparnis dank einfacherer Zubereitungsarten. Generell organisiere ich mich aufgrund des vegetarischen Anspruchs besser in der Menüplanung und im Einkauf. Gross ist seit der Umstellung zudem die Ersparnis im Portemonnaie.
Wobei das Portemonnaie auf dem Roadtrip zeitweise auch gelitten hat. Fokussiert auf Bio, regional und saisonal durch Migros und Coop zu schlendern, führte tatsächlich zu 50 Prozent teurerem Warenkorb. Ohne Kohl, der Weisskabis in Bioqualität war während meines Nachhaltigkeits-Roadtrips sowohl bei Coop wie auch in der Migros über 50 Prozent teurer als die herkömmlich produzierte Variante! Diese Teuerung kann mir keiner weiss machen. Auch ich bin in der Sommersaison Hobbygärtnerin und weiss, dass der Anbau von Weisskabis keine Hexerei ist (auch ohne Einsatz von chemischem Dünger und Pflanzenschutzmitteln).
Leicht angesäuert von diesem preislichen Kabis-Salat wollte ich es genauer wissen und stellte mir ein typisch schweizerisches Migros-Einkaufskörbli zusammen: 1kg Bananen, 1 kg Weisskabis, 500gr Zwiebeln, 1 Paar Cervelats, 2 l Vollmilch, 200 gr Butter, 500 gr dunkles Brot, 5 dl Rapsöl. In Bio-Qualität kostete dieser Einkauf bei Migros satte CHF 32.70[1]. Die genau gleichen Produkte in der genau gleichen Menge ohne Bio-Label kosteten in der genau gleichen Migros-Filiale nur noch CHF 21.15! Das ist eine Preissteigerung von 54.6 Prozent für Bio-Label Produkte! Offenbar tätigt der Migros-Verwaltungsrat seine privaten Einkäufe nicht im eigenen Revier, sonst käme es den Damen und Herren im Führungsgremium des Migros Genossenschaftsbundes wohl kaum in den Sinn, den Zeitungen so einen Kabis von wegen Tiefpreis-Niveau in den Migros-Supermärkten zu erzählen.
Auch bei Coop und Emmi, beides enge Geschäftspartner, gäbe es noch die eine oder andere Hausaufgabe zu lösen. Auf meinem Roadtrip hatte ich nämlich kurzzeitig die Idee, meinen persönlichen Milchkonsum einzuschränken und den morgendlichen Cappuccino nur noch mit Schweizer Hafermilch (produziert in der Schweiz mit Schweizer Hafer) zuzubereiten. Eine Enttäuschung in zweifacher Hinsicht: Erstens schmeckte mir der so zubereitete Kaffee überhaupt nicht mehr. Zweitens bezahlte ich für einen Liter Emmi Hafermilch (aus Schweizer Hafer) bei Coop doppelt so viel wie für einen Liter Schweizer Vollmilch. Das war für mich das Aus meines kurzen Ausfluges in die Welt des pflanzlichen Milchersatzes.
Fortan versuchte ich wenigstens eine sinnvolle Alternative zur Tetrapak oder PE-Milchverpackung zu finden. Schliesslich wohnen nicht alle Schweizer*innen in der Nähe eines Bauernhofes, um unverpackte Milch direkt ab Hof einzukaufen. Fündig wurde ich auch hier bei Coop und war voller Euphorie. Coop hat es tatsächlich geschafft, in Kooperation mit Emmi eine Bio-Milch in der Glasflasche ins Kühlregal zu bringen. Mein Höhenflug hatte leider ein jähes Ende, als ich den Preis dieser Milch realisierte: Satte 50 Rappen teurer als eine Tetrapak-Bio-Milch steht die Projektmilch von Emmi und Coop in schicker Glasflasche im Kühlregal (Depot für die Glasflasche nicht mitgerechnet). Ist nachhaltiger Konsum ein Luxus, den sich nur besser verdienende Bevölkerungsschichten leisten können?
Leise beschlich mich die Vermutung, dass Nachhaltigkeit im Lebensmittel-Geschäft und in unserer Wirtschaftswelt generell ein Preistreiber ist und es auch hier nur um Nutzenmaximierung geht. Lieber Coop, liebe Emmi, dann lasst es doch lieber bleiben. Bleibt auf eurer Milch im Glas «hocken». Ich kehrte zurück auf den Bauernhof meines Vertrauens und kaufe seitdem wieder die unverpackte Rohmilch direkt ab Hof ein.
Nach vier Wochen voller hoch gesteckter Ziele, einiger Mühsal und vielen Gedanken für teilweise schier unlösbare Öko-Gleichungen eines fünfköpfigen Haushaltes kehrte ich von meinem Trip durch die Konsumlandschaft zurück und setzte mich wieder an meinen Bürotisch. Was im Alltag hängengeblieben ist, ist die vegetarische Küche werktags, die wir in unserer Familie seither mühelos umsetzen. Am Wochenende gibt’s aber weiterhin auch Fleisch oder Fisch, beides nun ein bewusster Genuss, den wir dann umso mehr schätzen. Auch auf Plan ist die Anschaffung eines Elektro-Autos, das bei uns Zuhause dank bestehender Photovoltaik-Anlage mit 100 Prozent erneuerbarer Energie geladen werden kann. Noch arbeite ich aber innerlich an der Verabschiedung von meinem treuen Südkoreaner. Schliesslich hat mich diese solide Familienkutsche zehn Jahre lang ohne Schwächeanfälle von A nach B gebracht.
Mein Öko-Roadtrip hat meine bisherige (selektive) Wahrnehmung geöffnet und über meinen Tellerrand hinaus verschoben. Manches war unangenehm und schockierend. Wir brauchen das Engagement von Politik und Gesellschaft, insbesondere aber der Wirtschaft, wenn wir eine echte Veränderung zu Gunsten unseres Planeten Erde herbeiführen wollen.
Ich wünschte mir, dass jeder Verwaltungsrat, jede Verwaltungsrätin und alle CEOs und CFOs hierzulande sich vor der Publikation des nächsten Geschäftsberichts mit ihrem eigenen, ganz persönlichen Fussabdruck beschäftigen würden.
Glauben Sie mir, das eine oder andere Vorwort würde anders ausfallen!
Herzlich,
Sarah Meier-Bieri
[1] Bei Lidl Schweiz kostete das genau gleiche Einkaufskörbli in Bio-Qualität nur CHF 26.68 (CH Produkte – abgesehen von Bananen & Öl).
Kolumne Roadtrip durch die Nachhaltigkeit